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Atomkraft als touristische Attraktion?

Polnisches Energieunternehmen PGE klärt die „Unwissenden“ auf

Im Sommer tummeln sich am Strand des polnischen Ostseebades Kołobrzeg (Kolberg) und den umliegenden Ortschaften täglich Tausende Touristen, flanieren auf der Promenade, sitzen in den Cafés oder besuchen die kulturellen Darbietungen. Viele kommen zum Kururlaub. Die Haupteinnahmequelle ist der Tourismus. Die Urlauber kommen aus vielen europäischen Ländern, überwiegend aus Deutschland und Skandinavien, erklärt Krzysztof Plewko, Stadtrat in der knapp 50.000 Einwohner zählenden Hafenstadt Kołobrzeg. So sind in den letzten Jahren etliche neue Hotels, Pensionen und Restaurants entstanden, um dem wachsenden Ansturm der Erholung Suchenden gerecht zu werden.

Doch bald soll die Gegend um eine „Attraktion“ reicher werden. Die Polska Grupa Energetyczna (PGE) - Polnische Energiegruppe hat eine Kampagne gestartet, mit der die vielen ´Unwissenden` darüber aufgeklärt werden sollen, was Atomkraft wirklich ist. Denn es existieren Pläne, im Fischerdorf und Urlaubsort Gąski, etwa 20 Kilometer von Kołobrzeg entfernt, ein Atomkraftwerk zu errichten. Die PR-Strategen von PGE träumen von einem AKW, das als 

Kolberger Rathaus   - Foto Volker Voss

touristische Attraktion viele begeisterte Besucher anziehen wird.

Gegen die atomaren Pläne regt sich jedoch Widerstand. Krzysztof Plewko, der als Landwirt einen 145 Hektar großen Öko-Hof betreibt, wurde unter anderem wegen seines engagierten Einsatzes für den Umweltschutz in den Stadtrat gewählt. 2011 gründete er mit anderen Bürger_innen aus der Region die Umweltorganisation Stowarzyszeni „Ekologyczny Kołobrzeg“ (Verein Ökologisches Kołobrzeg), deren Vorsitzender er zugleich ist.

Die Gefahren und Einwände gegen die Atomkraft werden schlicht ignoriert - als hätte es Tschernobyl und Fukushima nie gegeben. Verschwiegen wird ebenfalls die nachweislich erhöhte Krebsrate in der Umgebung von AKWs, die ungeklärte Endlagerung der Brennstäbe. 2011 gab der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) eine Studie in Auftrag, nach der AKWs nicht versicherbar sind, die Unfallgefahr ist einfach groß. Adäquate Haftpflichtprämien würden Atomstrom unwirtschaftlich machen. Empfohlen wird der Umstieg auf erneuerbare Energien.

 

 

Internationale Vernetzung

 

Zudem handelt es sich hier um Naturschutz- und Erholungsgebiete. Das Meerwasser zur Kühlung der atomaren Anlage hätte aufgrund der Erwärmung auch negative Folgen für den Fischfang. Ganz zu schweigen davon, dass die "unwissenden" Touristen ausbleiben werden.

Deutschland hat im Zuge der Energiewende den Atomausstieg eingeleitet, der bis spätestens 2022 abgeschlossen sein wird. Gąski, ein Dorf in der polnischen Woiwodschaft Westpommern, gehört zur Landgemeinde Mielno, wo sich die Menschen überall aktiv gegen den Bau und die realitätsfremde Propaganda der Atombefürworter wehren. Unterstützt werden sie unter anderem vom ATOMIC BALTIC-Netzwerk/Projekt, „das lokale, regionale und internationale Initiativen, Organisationen und Individuen im Kampf gegen atomare Entwicklungen überall rund um die Ostsee vereint“. Es gibt in mehreren Ländern im Ostseeraum Pläne, weitere Atomkraftanlagen zu errichten.

In Zoppot gründete PGE, wohl als PR-Maßnahme, den „Sportverein Atomtreff“, deren Mitglieder als atomar begeisterte Werbebotschafter in den Wettkampf mit anderen Vereinen ziehen. Denn knapp 70 Kilometer von Zoppot entfernt, ist ebenfalls ein AKW geplant.

Danach befragt, was sie von der Idee halten, in Gąski ein AKW zu errichten, antworten Hotelbesitzer und -mitarbeiter in Kołobrzeg spontan: „Menschenskind“, „die touristische Branche geht kaputt“ oder „höchstens wenn diese Technologie 100 Prozent sicher wäre, doch das ist kaum zu erwarten“.

2011/12 konnten nach der Ausweisung mehrerer möglicher Standorte für den Bau von AKWs in Polen international Einwände dagegen vorgebracht werden. Mehr als 50.000 Menschen allein aus Deutschland erhoben bei der polnischen Regierung Einspruch gegen die Atompläne. Auch aus dem Land Brandenburg kam von Seiten der Landesregierung Widerspruch gegen die Pläne. Denn bei einem Unfall sind auch die umliegenden Länder betroffen.

Illegale Recyclinganlage

 

Doch damit nicht genug: Seit Jahren ärgern sich die Einwohner über eine Verbrennungs- und eine Recyclinganlage in Kołobrzeg-Grzybowo, wohin uns Stadtrat Plewko mit seinem Wagen fährt. Dort kommt uns ein übelriechender Gestank entgegen – und dass mitten in einem Naturschutzgebiet mit Wasserreservoire. Ein Zugang zu der Anlage ist schwer. Auf einem Feldweg nahe der Anlage befindet sich seit kurzem eine Betonbarriere. „Diese wurde errichtet, um mich davon abzuhalten, dort ranzufahren und Fotos zu machen“, beschwert sich der Lokalpolitiker.

Einige Touristen seien früher abgereist als geplant. „Selbst die Schnecken verschwinden, wenn die Verbrennungsanlage in Betrieb ist“, berichtet Plewko. Ein Gast aus Deutschland schreibt in seiner Online-Bewertung für ein Hotel in unmittelbarer Nähe der Anlage: „Vor dem Fenster war eine Verbrennungsanlage und der Duft war nicht sehr schön“. Welche Stoffe tatsächlich 

Die umstrittene Recyclinganlage   - Foto Volker Voss

recycelt und getrennt werden, ist eher das Geheimnis der Betreiber. „Auf jeden Fall werden illegal Dinge verbrannt, für die es keine Erlaubnis gibt.“ Auch gelte die Baugenehmigung für einen anderen Standort.

Für diese Anlage flossen Gelder aus Brüssel, deren Verbleib nicht nachvollziehbar sei, berichtet Stadtrat Plewko. Hier werde Kompost hergestellt, den er aber „Pseudokompost“ nennt, weil er lediglich ein Gemisch aus biologisch verwertbaren Stoffen und gewöhnlichem Müll ist. Glas, medizinische Abfälle und Plastik müssten extra verarbeitet werden.

Tatsächlich wurde der Kompost in einer naturgeschützten Umgebung verwendet, was dazu führte, dass selbst die dort sonst brütenden Kraniche das Gebiet verließen. Doch die Verantwortlichen in den Ministerien ignorieren die Probleme. Auf Anfragen gebe es keine Antworten. Denn laut Dokumente sei alles in Ordnung. „Wenn es so weiter geht, werden wir unseren Protest auch auf die Straße tragen“, kündigt Plewko an.

Wegen der illegalen Anlage gibt es Gespräche auf höchster politscher Ebene in Szczecin, der Hauptstadt der Woiwodschaft Westpommern. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass ein Mehrheitsbeschluss des Kołobrzeger Stadtparlaments gegen die Anlage ein Grund ist, diese stillzulegen. “Wir haben als Gemeindevertretung von Kołobrzeg beschlossen, dass wir diese Recyclinganlage nicht wollen - und das ist nun offiziell“, so Plewko. Trotzdem habe der jetzige Bürgermeister einen Vertrag mit dem Unternehmen unterzeichnet. Die Umweltschützer sehen sich zudem erheblichen Druck seitens der Regierungspartei in der Gemeinde ausgesetzt. Es sei schwer, gegen die offizielle Propaganda anzukämpfen. Doch immerhin berichten lokale Medien kritisch über derartige Probleme. Einmal wöchentlich hat der Verein die Möglichkeit, im Lokalradio Koszalin zu sprechen. Für ihn und seine Mitstreiter ist es wichtig, sich mit NGOs in anderen Ländern zu vernetzen, um von deren Erfahrungen zu profitieren.

 

Volker Voss

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