Agrartourismus in Polen
Ökologisch, sinnvoll und naturnah
Beim Rundgang auf seinem zwei Hektar großen Grundstück im niederschlesischen Przesieka präsentiert Wladysław Kurowski einen riesigen, in jahrelanger Arbeit geschaffenen japanischen Garten mit vielen Pflanzen, Hügeln, versteckten Wegen, einem großen Teich sowie einem Swimmingpool aus Stein mit Quelle. Kurowski gehört zu den Pionieren des polnischen Agrartourismus (Agroturystyka), nach dem Prinzip „Landurlaub aus einer Kombination aus aktiver Erholung, Naturerlebnis und ländlicher Kultur“. Bereits 1976 begann er mit der aufwendigen Gestaltung der Anlage Kurosiówka, die er gemeinsam mit Ehefrau Irena und Tochter Karolina bewirtschaftet. Das Gemüse im Garten wird auch den Gästen serviert. „Es ist alles Bio, ohne Chemie, auch wenn ich dafür kein Zertifikat habe“, sagt er.
Das ursprünglich einfache Haus aus der Vorkriegszeit baute der Landwirt über die Jahre zu einem aufwendig umgestalteten Gebäude mit Balkonen, Wendeltreppen, Holz- und Steinkonstruktionen und an der Fassade hochgewachsenen Pflanzen um, das 25 Gästen Unterkunft bietet. Hier mischen sich Hobby und Historisches. Vor dem Krieg gehörten Haus und Grundstück der deutschen Familie Klitsch, erfuhr Kurowski aus einem Dokument von 1939, das er bei der Renovierung fand. Die vielen großen, geschickt verbauten Steine im Garten stammen aus einem nahe gelegenen Steinbruch. Ein weiteres Haus auf dem Grundstück wurde aus dem gut erhaltenen Holz der alten Kathedrale in Poznań von 1712 gebaut, nachdem sie restauriert wurde. Wie selbstverständlich spricht man sich mit Vornamen an. „Hier ist man kein anonymer Gast wie in einem Großhotel“, betont Wladysław Kurowski.
Grundvoraussetzungen für die Mitgliedschaft im Agrartourismus-Verband sind unter anderem, dass der Betrieb aus einer Fläche von mindestens einem Hektar besteht und sich in einem Dorf weitab von einer Stadt befindet. Rund zwei Millionen Bauernhöfe gibt es in Polen, davon bieten heute etwa 10.000 agrotouristische Dienstleistungen mit unterschiedlichen Angeboten.
Wirtschaftliches Standbein
Der Agrartourismus ist ökologisch sinnvoll und bietet Vielen eine berufliche Zukunft. Grażyna Sokolińska hat ihren Job als Bankangestellte in der Kreisstadt Jelenia Góra vor zehn Jahren aufgegeben und betreibt seitdem Agrartourismus auf ihrem 30 Hektar großen Bauernhof Sokolik mit Schwerpunkt auf Familien mit Kindern. Das alte Bauernhaus, in dem auch die Gäste untergebracht sind, ließ sie von Grund auf restaurieren. Auf der Weide sind Kühe, deren Milch sie an Kleinhändler und Nachbarn liefert. „Hier kommen Gäste her, die Erholung und Natur suchen und Gastfreundschaft zu schätzen wissen, gern wandern und Ausflüge machen“, erklärt Grażyna Sokolińska. Überwiegend kommen Landsleute, vereinzelt auch Gäste aus Deutschland und Holland. Die Sokolik-Werbung besteht aus Internetauftritt, Mundpropaganda und Empfehlung.
Immer wieder stößt man auf die Vergangenheit. Auch Sokolińska hat alte Münzen und Fotos aufbewahrt. „Das ist doch ein Teil unserer Geschichte“, ist hier eine weit verbreitete Auffassung.
Das Erholungsgebiet Riesengebirge hat in den letzten Jahren einen merklichen Modernisierungsschub erlebt. Überall ist restauriert und gebaut worden, wobei der traditionelle ländliche Stil beibehalten wurde. Hier und da gibt es ein geschlossenes Geschäft, Restaurant oder Hotel von früher, die die Nachwendezeit wirtschaftlich nicht überlebt haben. Die Konkurrenz im Touristiksektor ist groß. Immer mehr Bauern eröffnen Pensionen auf ihrem Hof. Manche bieten neuerdings auch Zusatzleistungen wie Kneippkuren, Yoga oder vegetarisches Essen. Die Kundschaft hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Waren es früher eher Gäste aus der Arbeiterschaft, so sind es heute Lehrer, Intellektuelle, vor allem junge Menschen, die sich beruflich etabliert haben, sagt Grażyna Sokolińska.
In der Gaststube „Górske Chata“ steht Bürgermeisterin Kornelia Pilarz höchstpersönlich am Tresen. An den Wänden erinnern Fotos an Zeiten, als Przesieka noch „Hain im Riesengebirge“ hieß. Die Wirtin serviert heimische Speisen und gibt Ausflugstipps für die zu entdeckenden Berglandschaften, Wanderwege, Burgen, Seen und Wasserfälle, die so in keinem Reiseführer stehen. Übrigens spielt Parteipolitik spielt hier keine Rolle, erzählt Kormelia Pilarz. Sie konnte sich bei der Kommunalwahl als unabhängige Kandidatin durchsetzen. Gaststätte und Zimmervermieten sichern ihre Einkünfte, denn der Job als Bürgermeisterin ist überwiegend ehrenamtlich.
Urlaub beim Bio-Bäcker
Bäckermeister Krzysztof Wdowński im benachbarten Podgorzyn backt ausschließlich Bio-Brot und –Gebäck und vermietet im Rahmen des Agrartourismus Zimmer. Gern lässt er sich bei der Arbeit über die Schulter schauen. Die Zutaten kauft er bei einem Bauern 20 Kilometer entfernt. Alles wird noch so verarbeitet wie vor 100 Jahren. Grundstoffe sind: Wasser, Mehl, Weizen und Dinkel mit allen Mikro- und Makroelementen, die beim herkömmlichen Backen verloren gehen. Herkömmliches Brot kann schon eine Stunde nach dem Backen verkauft werden, sein Bio-Brot muss acht Stunden ziehen“, erklärt er den Unterschied. Neben dem Verkauf vor Ort beliefert Wdowński den Kleinhandel. Studenten polnischer Hochschulen besuchen im Rahmen des Unterrichts oft seine Backstube.
Zu ausländischen Kollegen aus der Biobackbranche habe er keinen Kontakt. Während des Rundgangs auf seinem Hof, auf dem er auch Geflügelzucht betreibt, verrät er, wie er zum Bio-Bäcker wurde. Es waren in erster Linie religiöse Motive. Mit 30 Jahren wurde Wdowński Christ. Stark beeinflusst haben ihn die Schriften der amerikanischen Autorin Ellen G. White zur Philosophie einer traditionellen Lebensweise. Als kritischer Christ und leidenschaftlicher Bäcker heißt sein Grundsatz: „In einem sehr gut gebackenen Brot steckt mehr Gott als in einer Messe.“
Über 200 Jahre alt ist das restaurierte, rot gestrichene Haus des Bio-Bäckers. Draußen zeigt er auf ein altes, verwittertes Schild mit der Aufschrift: „Leipziger Feuer- und Versicherungsgesellschaft, gegründet 1819“. Landwirtin und Selbstversorgerin Katarzyna
Krawczyk-Demczuk, Kundin bei Bäckermeister Krzysztof Wdowński, die auf ihrem Hof Chata Mikołaja am liebsten an Familien mit Kindern vermietet, weiß: „Stadtmenschen möchten gern auf den Teller bekommen, was sie im Garten gesehen haben.
Gerade für Kinder ist es ein Vergnügen abzupflücken, was dort wächst.“. Immerhin wachsen dort viele heimische Gemüse- und Obstsorten. Zudem kann sich die Landwirtin, Tochter von Wladysław Kurowski, auch tagsüber um ihre zwei Kinder kümmern und zugleich Hobby und Arbeit miteinander verbinden.
Der Agrartourismus ist ökologisch und menschlich eine Alternative zum herkömmlichen Massentourismus.
Volker Voss
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